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+---Thema: Season Standard, The - Squeeze Me Ahead Of Line Eröffnet von Patrick


Beitrag von: Patrick an 18. 07 2008, 23:22

THE SEASON STANDARD - SQUEEZE ME AHEAD OF LINE

Stil: experimenteller Genrefreistil
Label: < Discorporate Records > / < MMS > / < Alive >
Spieldauer: 9 Tracks, 48.30 min.
Release: 11. Juli 2008
MP3: < >> Makkk >
Video: < >> Makkk (Visual Edit) >

< Offizielle Bandhomepage >
< The Season Standard bei Myspace >

Standard? Denkste! Das hier ist vielmehr ganz weit draußen. The Season Standard zielen ganz bewusst an der Norm vorbei und treffen dabei voll ins Schwarze.

"Purer wunderschöner Wahnsinn", "neue Musik" und "die große Herausforderung 2008" – ein kleiner Auszug aus dem mit Superlativen nicht eben geizenden Promowaschzettel. Die Wahlberliner The Season Standard schlagen selbstbewusst vollmundige Töne an, dürfen auf ihr überaus gelungenes Debütalbum aber zu recht stolz sein. Denn diese kleine, völlig unbekannte Band aus dem Osten der Republik hat mit "Squeeze Me Ahead Of Line" doch mal eben den Überraschungscoup des bisherigen Jahres gelandet. Bereits 1995 in Meißen, einer Kleinstadt nahe Dresden, als Zusammenschluss grunge-sozialisierter, 16-jähriger Teenies gegründet, spielt das Quartett nun seit nunmehr acht Jahren in der gleichen Besetzung zusammen. Ein seltenes Maß an Kontinuität, das sich nun endlich auszahlt.

"A Seadog Grotesque" begrüßt einen zunächst mit einsamen Synthieakkorden, bevor es dann losgeht, dieses Feuerwerk verquerer, pulsierender Rhythmen. Bevor man plötzlich in einen surrealen, drogigen Farbenrausch eintaucht und nicht mehr weiß, ob man nun aufrecht steht oder von der Decke herunterhängt. Bevor sich die Gitarre an einem vorbeischlängelt und grinsend vor der Nase herumtanzt. Bevor sich der extravagante Falsett-Gesang ans Gehör anschmiegt und in einem Wirrwarr aus Breaks, Takt- und Stimmungswechseln überhaupt ziemlich viel auf einmal passiert. Und bevor Drummer Simon Beyer einen rhythmischen Wahnwitz an den Tag legt, wie man ihn sonst allenfalls in Drum'n'Bass- und Jazz-Gefilden zu Ohren bekommt. Wie ein in Rage versetzter Oktopus füllt er, der heimliche Star dieses Albums, mit seinem Schlagzeugspiel den Raum komplett aus.

Den Wahnsinn zu beschreiben, der sich auf "Squeeze Me Ahead Of Line" abspielt, ist wahrlich keine leichte Aufgabe, reißen The Season Standard doch Genregrenzen ein, ohne diese dabei überhaupt wahrzunehmen. Versuchen wir es trotzdem: The Season Standard sind die Popstars eines abseitigen Parallel-Universums, in dem Musiker über mindestens acht Gliedmaßen verfügen und die Charthits der einschlägigen Popularmusik mindestens genau so viele Taktwechsel besitzen wie ein durchschnittliches Mr. Bungle-Stück. Neun Songs langen kreiert die Band einen ebenso vielfältigen wie innovativen, absolut eigenständigen Stilmix aus Frickel-Jazz, Progrock, Funk, Psychedelic, Soul Drum'n'Bass, Elektronik und Pop. Ja, auch Pop, denn trotz seiner vertrackten, oft schwer fassbaren Rhythmik wohnt "Squeeze Me Ahead Of Line" eine verblüffende Leichtigkeit inne. Wie auf unsichtbaren Schwingen düst die Band durch die verwinkelten, mit rhythmischen Stolpersteinen gepflasterten Pfade ihrer Songs und lässt scheinbar unvereinbare Gegensätze zu einer Einheit verschmelzen. Es ist dieses unerhörte Paradoxon zwischen freakiger Frickelei und einem seltsamen Pop-Appeal, zwischen lässiger Entspannung und nervenzehrender Hektik, das "Squeeze Me Ahead Of Line" zu einer besonderen Platte macht.

Wenn die dichte Komplexität der Instrumentalisierung auf den warmen, geschmeidigen Soul von Matthias Jähnigs Kopfstimme trifft, die klingt, als hätten durchgeknallte Wissenschaftler durch Genmanipulation einen Hybriden aus Matthew Bellamy (Muse), John Baldwin Gourley (Portugal. The Man) und Prince (!) erschaffen, zielt auch der oft bemühte Mars Volta-Vergleich ausnahmsweise nicht ganz daneben. Bei so viel Virtuosität besteht leicht die Gefahr, übers Ziel hinauszuschießen, doch meist gerät der Song bei The Season Standard nicht aus dem Fokus. Ausnahmen gibt es zwar, gerade im Mittelteil nimmt die maßlose Technikdemonstration mitunter Überhand, doch sind diese Momente allzu großer Selbstverleibtheit zum Glück rar gesät. Im Großen und Ganzen überwiegt die Begeisterung ob der großen Bandbreite des Gebotenen: Während der völlig ausgeflippte Space-Funk "12 Inches Nose Makes Disco" in etwa so verrückt klingt, wie es der Titel verspricht, überzeugt das balladeske "Tisa" hingegen mit beseeltem Einfühlungsvermögen.

Dass bei letzterem niemand geringeres als Trey Gunn (Ex-King Crimson) ein Gastspiel an der Touch Guitar gibt, dürfte in Hinsicht auf die Qualitäten dieses Albums Bände sprechen: Mit The Season Standard hat das aufstrebende Label Discorporate Records einen dicken Fisch an Land gezogen. "Squeeze Me Ahead Of Line" ist ein großer und vor allem unerwarteter Wurf. Ein Geheimtipp, der es in sich hat und dem man wünschen würde, dass er bald keiner mehr ist.

Wertung:


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