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+---Thema: Bernd Begemann & die Befreiung Eröffnet von Ulrich


Beitrag von: Ulrich an 14. 01 2007, 23:32

BERND BEGEMAN & DIE BEFREIUNG

13. 01. 2007
Köln, Blue Shell
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An diesem Samstag wache ich mit einem kleinen Kater und einem Filmriss auf. Man geht den Tag an wie man einen solchen Tag angeht. Man hängt rum und fühlt die Schwere in den Knochen, als hätte man am vorigen Tag auf dem Bau geschuftet oder wäre einen Marathon gelaufen. Das Feiern und die Musik, das ist harte körperliche Arbeit.
Hier kommen wir schließlich zum Workaholic der deutschen Liedermacher schlechthin, dem guten alten Bernd Begemann. Jedes Jahr beinahe veröffentlicht er ein neues Album, und wer jetzt denkt, dass man nicht viel Zeit für andere Sachen haben kann, wenn man mit Konstanz und Qualität eine solchen Veröffentlichungsfrequenz garantieren will, der kennt den Begemann schlecht. Die Liste der Tourdaten für ein Jahr sind so lange wie bei manch einer Band die ihrer ganzen Laufbahn zusammengenommen. Er spielt Solo, er spielt auf Festivals, er spielt mit Backingband. Seit zwei Jahren hat er im Hamburger Knust ein Dauerengagement, den mittlerweile legendären „Freitag der Befreiung“. Wer dachte, dass wäre dann jetzt aber wirklich das äußerste, der wird dieses Jahr eines besseren belehrt.
2007 nun gibt es Dauerengagements in Hamburg, wie gewohnt, und zusätzlich auch noch in Berlin, Köln und München. Es gibt eigentlich keine Entschuldigung Bernd Begemann noch nicht Live gesehen zu haben, außer Mangel an Musikgeschmack natürlich.
Das Arbeitstier Begemann sorgt durch ein einfaches Mittel dafür, dass es für ihn selbst und seine Band die Befreiung nicht zu eintönig wird. Jeden Monat wird ein bestimmtes Album gespielt, von vorne bis hinten, jedes Lied, und das nächste Mal ein anderes.
Den Anfang macht heute das tolle Rezession, Baby aus dem Jahre 1993. Zwei Tage nach dem Filmstart von „Mein Führer“ beginnt Begemann die lange Setlist mit „Hitler - menschlich gesehen“ und lässt die ursprünglich Solo aufgenommenen Lieder mit Band und Spritzigkeit erklingen, das ist schon eine Wonne. Die Highlights sind sicher „Eigentlich wollte ich nicht nach Hannover“, dann das gute alte „Christiane, das Mädchen vom C.V.J.M.“ und das tolle „Rambo III mit Jochen Distelmeyer im Autokino“, das man so auch nicht oft performt gesehen hat. Manchmal könnte man glauben die Lieder habe er erst vor einigen Wochen geschrieben, so sehr sind sie trotz allen Zeitgeistverweisen immer noch aktuell. Mindestens ebenso wichtig wie seine Musik ist Live seine Qualität als Entertainer, da gibt mir sicher jeder recht, und vor voller kleiner Hütte war er bestens drauf, mit der gewohnt beißenden Ironie, die auch als Legitimation  für den inszenierten Pathos der Musik gesehen werden könnte.
Weiter hinten nervten einige Menschen in den ruhigen Momenten damit, sich lautstark unterhalten zu müssen, was mit völligst unverständlich ist und auch für einige spöttische Kommentare von der Bühne gesorgt hat. Toller Sound, super Songs, ein glänzend gelaunter Alleinunterhalter – was kann man denn noch ans Voraussetzungen schaffen um die Leute zum schweigenden zuhören zu bringen?
21 Lieder später war das Album gespielt und alle, außer die dummen Schwätzer, wären froh nach Hause gegangen.
Wer dann allerdings dachte „das war’s“, der irrt again. Hier bekommt man noch was fürs Geld geboten, das ist bei Begemann die alte Binsenweisheit, und nach einer kurzen Pause geht es mit dem Wunschprogramm weiter. Die Leute schreien Liedtitel, die Band wählt aus und spielt. So kommt jeder zu seinem Lieblingstitel, die gute alte St. Pauli-Hymne darf auch in Köln nicht fehlen, obwohl es seltsam ist, sie hier zu hören, dann natürlich „Judith (mach deinen Abschluss)“, „Wir Tanzen“, das geniale „Unsere Band ist am Ende“ und wie die Hits nicht alle heißen.
Insgesamt kommen mal locker 3 Stunden Nettospielzeit zusammen, und schlecht war es nicht eine Minute, obwohl es natürlich auch ein paar durchschnittliche Lieder gibt, das ist bei der schieren Masse an Songs wohl aber auch unmöglich zu vermeiden.
Die interessante Frage dürfte sein, wie lange Herr Begemann auf diesem Niveau in dieser Spiellaune weiter machen kann, es ist schließlich erst der Anfang des Jahres. Routine kann gefährlich sein und ist Antagonist der Kreativität. Der Auftakt aber war grandios, mit einem schwitzend spritzenden Übermännlein von Liedermacher, von den bald zweistelligen Begemann-Konzerten denen ich beiwohnen durfte sicher das beste, und Köln wird dem charismatischen Unterhalter sicher auch das nächste Mal einen warmen Empfang bereiten. Ehrliche, witzige Arbeitstiere mag man hier nämlich gerne.

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