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+---Thema: Muff Potter - Steady Fremdkörper Eröffnet von Christian


Beitrag von: Christian an 15. 05 2007, 21:20

MUFF POTTER - STEADY FREMDKÖRPER

Stil: Angry Pop Music
Release: 18. Mai 2007
Label: Vertigo / Universal
Spieldauer: 11 Titel; 43:21 Minuten
Anspieltipps: Das Finkelmann'sche Lachen, Das Sehe Ich Erst, Wenn Ich's Glaube, Fotoautomat, Die Guten

< Muff Potter - offizielle Webseite >
< Muff Potter - offizielle MySpace-Seite >

Verhältnismäßig schnell haben Muff Potter an ihrem neuen Album gearbeitet. Nur anderthalb Jahre nach Von Wegen erscheint also schon der Nachfolger Steady Fremdkörper und passend zur Veröffentlichung diskutiert Nagel nun mit Daniel Küblböck bei MTV TRL über Musik und darf erklären, was er so von Castingbands hält. Das ist zwar immer noch besser, als wenn Bill von Tokio Hotel dort sitzt, doch dass es einem als langjährigem Muff Potter-Hörer beim Gedanken daran eiskalt den Rücken herunter läuft, ist wohl auch nachzuvollziehen. Natürlich vertritt Nagel auch dort seine Meinung und wehrt sich tapfer gegen die primitive Dummheit der Musiksender-Sternchen, aber glaubt er denn wirklich irgendwen in dieser kurzlebigen Welt umstimmen zu können? Klar geschieht das vermutlich auf Wunsch vom Label Vertigo, aber steht es denn nicht gegen alles was Muff Potter früher einmal ausgemacht hat? Versteht mich nicht falsch, ich mag die Band nach wie vor sehr gerne und werde auch gleich darlegen, was ich am neuen Album alles so schätze, doch in erster Linie ist purerock.de immer noch ein Fanzine und wo sonst, wenn nicht auf einer solchen Plattform werden denn heute bitte noch kritische Fragen gestellt. Die Plattenfirma verschiebt ja sogar den Releasetermin um eine Woche nach hinten, weil Steady Fremdkörper dann zeitgleich mit der VISIONS erscheint – und wer ziert dann wohl gerade das Cover?

Zurück zur Band und ihrer neuen Platte. Muff Potter wissen natürlich immer noch wie man Musik macht, nur leider nicht so ganz im ersten Song Ich Bin Doch Kein Idiot. Der Lala-Hochtief-Gesang im Refrain ließ mir beim ersten Hören das Blut in den Adern gefrieren. Mittlerweile hat sich das zwar etwas gebessert, aber auch der Text - Durchhalteparolen gegen den “verdammten Pyschotypen“ bei der MPU - zählt definitiv zu den schlechtesten Muff Potter-Ergüssen der letzten Jahre. Wer die Story noch mal ausführlich und in gut nachlesen möchte, schlägt übrigens einfach in Wo Die Wilden Maden Graben auf Seite 40 nach. Dort gibt es die lange Version. Überhaupt erscheint es einem gelegentlich, als habe Nagel einfach sein kürzlich erschienenes Buch vertont - kommen einem doch so einige Passagen daraus recht bekannt vor.

Im Endeffekt beginnt die Platte für mich also erst so richtig mit dem Finkelmann’schen Lachen, einem typisch rotzigen Muff Potter-Song über einen unter Muskelschwund leidenden Mann, der jeden Tag im Fitnessstudio mit “Kabelarmen und Streichholzbeinen“ tapfer gegen seine Krankheit ankämpft. Gespickt ist der Song mit jeder Menge Seitenhieben, wie gegen das Mädel, das jeden Tag im Fitnessstudio auf den nächsten Wochenendfick hinarbeitet. Eine dieser typischen Kurzgeschichten also, die den Texter und guten Beobachter Nagel bisher immer so interessant gemacht haben. Der nächste Beweis für seine Stärken steht schon im folgenden Song Das Sehe Ich Erst, Wenn Ich’s Glaube an. Im gesanglichen Zusammenspiel mit Dennis werden so schnell so viele Metaphern und Sprichwörter neu aufbereitet, dass die Germanistikstudenten an der Uni wohl mal wieder vor Neid erblassen dürften.

Dass neben Nagel auch Dennis ein guter Texter (und im Vergleich wohl sogar der bessere Sänger) ist, weiß man spätestens seit dem Siegerlied oder dem großartigen Bis Zum Mond. Auch mit Sie Tippen Wie Irre Auf Deinen Möbeln kann er seine Fähigkeiten wieder unterstreichen. Der etwas an Kettcar erinnernde Refrain deutet allerdings schon wieder den Weg in poppigere Gefilde, womit wir dann auch bei der Single Fotoautomat angekommen wären. Wer in den letzten Jahren mit der Musik von Muff Potter sozialisiert wurde, dem dürfte beim ersten Hören wohl auch das Bier aus der Hand gefallen sein. Die Stimme von Nagel wirkt ziemlich glatt, die Gitarren erinnern an Burn von Alkaline Trio und überhaupt ist das der perfekte Popsong. Trotzdem oder gerade deshalb muss man sagen, dass die Jungs selten einen so eingängigen Song geschrieben haben und nach ein paar Hördurchläufen kann man Fotoautomat auch eigentlich nicht mehr scheiße finden. Zeilen wie “mit ’ner Flasche Absolut sitz ich im Fotoautomat / das ist lustig und traurig / genau so wie ich’s mag“ oder “mit Fantasie gegen Lethargie / und besser war ich nie“ gehören sofort mit Edding an die nächste Wand geschmiert.
Für mich ist Fotoautomat mittlerweile einer des besten Songs des Albums geworden. Genauso poppig geht es dann weiter, fühlt man sich doch beim Beginn von Die Guten unweigerlich an Silbermond oder Juli erinnert. Allerdings entwickelt sich das Lied in einen wunderschönen wehmütigen Rückblick auf eine Beziehung die nicht funktioniert hat, aus der aber eine Freundschaft entstanden ist. Auf deutsch über Gefühle zu singen geht eben doch, aber das konnte Nagel ja schon immer.

Positiv hervorzuheben sind noch die beiden punkigen Kurzgeschichten Wunschkonzert und der Titeltrack Steady Fremdkörper, wohingegen dann aber eben auch einige Füller zu nennen sind. Neben dem schon genannten Ich Bin Doch Kein Idiot, konnte zum Beispiel auch Gestern An Der Front bei mir in der vierwöchigen Hörphase niemals zünden – trotz Zeilen wie “ich lecke meine Wunden / sie sind mein größtes Kapital / am Tag an dem sie verschwinden / werde ich egal“ bleibt der Song einfach unterer Durchschnitt. Das Halbvolle Glas Des Kulturpessimismus hat einen tollen eingängigen Refrain und ist auch sonst ein schöner Song, doch der “Prost & Cheers“-Part geht unheimlich schnell auf die Nerven.
Und um auch den vorletzten Track Plötzlich Tatsächlich noch zu erwähnen: Trotz dickem Bass und fetter Gitarren das wohl belangloseste Stück, was je auf einer Muff Potter-Platte gelandet ist. Gehört und sofort wieder vergessen, doch dafür gibt es ja die Skiptaste. Allerdings stellt sich mir dann schon die Frage, wieso äußerst gelungene Songs wie die Fotoautomat-B-Seite Bitter Lemon es nicht aufs Album geschafft haben? Das ist schade, denn hier wäre insgesamt noch mehr rauszuholen gewesen.

Fazit: So zeigen sich Muff Potter auf Steady Fremdkörper zwar insgesamt wieder etwas rockiger und nicht so glatt produziert wie auf dem Vorgänger, aber trotzdem werden die Pole in alle Richtungen noch weiter ausgelotet. Angry Pop Music par excellence könnte man sagen, wenn zwischen den teilweise sehr guten Stücken, dann nicht eben auch so einige Schwachstellen zu finden wären. Ob die mit einer etwas längeren Arbeitszeit an der Platte noch hätten ausgebügelt werden können, werden Muff Potter wohl nur selber wissen. Die Leute da draußen haben eh alle schon ihre Meinung zum Album, so wie auch ich meine habe. Die geht konform mit Nagel, der kürzlich sagte: “Muff Potter bedeutet, zu nicht dummer Musik die Hände in die Luft reißen zu können.“ Das gilt immer noch. Und erst recht wieder für Steady Fremdkörper.


Beitrag von: Patrick an 15. 05 2007, 23:02

Jo, Kritiken in dieser Länge gibt es nur in Fanzines ;-)
Finde ich aber durchaus in Ordnung, schließlich bist du Fan, und hast auch einiges zu sagen, und zwar ohne die rosarote Fanbrille. Gut so.

Beitrag von: florian an 19. 05 2007, 23:53

Zitat
Natürlich vertritt Nagel auch dort seine Meinung und wehrt sich tapfer gegen die primitive Dummheit der Musiksender-Sternchen, aber glaubt er denn wirklich irgendwen in dieser kurzlebigen Welt umstimmen zu können?


Also weiß nicht. Hab die Sendung in Youtube gesehen und fand Nagel bzw. sein Gerede doch mehr als albern und peinlich... :suspect:

Beitrag von: krazzo an 20. 05 2007, 13:27

ich hatte immer das gefühl das er sich zu sehr zurücknimmt und nur manchmal aus sich rauskommt.

hab das album gestern zum ersten mal gehört und muss wirklich sagen das ich enttäuscht bin. schade schade.

Beitrag von: Josip an 27. 05 2007, 02:12

hab mir das album nun cirka drei millarden mal zu gemüte geführt und stoße mich sehr daran, dass sie es eigentlich genauso gut "von wegen II" nennen hätten können. oder "von wegen b-seiten" oder so ähnlich.

im gegensatz zu christian finde ich den eröffnungstrack sehr gelungen, mit schön viel unnötigem pathos und so weiter. "fotoautomat" wurde auch zurecht die erste single, das finish vom "finkelmann'schen lachen" und der refrain von "das halbvolle glas des kulturpessimismus" gehören auch in die oberliga, und "die guten", mehr oder weniger "wenn, dann das hier II", kann ich mir auch noch mit einem lächeln anhören, wenn ich schon gut einen sitzen habe. aber im endeffekt sticht sonst nichts mehr wirklich heraus und es kommt einem vor, als würde man es durchwegs mit "von wegen"-füllmaterial zu tun haben. sachen wie "wunschkonzert" und "steady fremdkörper" sind mir einfach viel zu zeigefinger-theatralisch, "das seh' ich erst, wenn ich's glaube" zu platt. da kann ich nicht nachvollziehen, wieso die beiden b-seiten zur "fotoautomat"-single nicht mit aufs album genommen wurden, da mir diese um einiges besser gefallen.

zur spätsommer-tour komm ich trotzdem, versprochen. aber wehe, das nächste album wird genauso schwach.

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