Was die Menge an Ideen anbelangt sind Kam:as ein Think Tank. Kaum ein Jahr nach ihrem letzten Album Panic Among Whales, im übrigen ein wirklich gutes und nachhaltig wachsendes, kommt mit Neverstate schon das nächste Album auf den Markt. Aber ach was, die Bezeichnung „Album“ ist viel zu kurzgegriffen. Erstens gibt es schon auf der physischen Version zwei Tonträger (mehr dazu später) und zweitens wird es ab Mai einen dritten Teil zum Herunterladen geben. Bei einer normalen Band führt soviel Output fast zwangsläufig zu Wiederholungen und geringer Qualität, bei den Berliner ist genau das Gegenteil der Fall: je mehr sie machen, desto besser scheint es zu werden. Und Wiederholungen? Zeigt mir eine Platte mit weniger Wiederholungen! Was da an musikalischem Geschick und an Drehungen und Wendungen in einen Song gepackt wird! Die erste Neverstate-CD ist das „reguläre“ Album, mit einer Sammlung von 9 durchweg genialen Songs. Atmosphärisch funktioniert das Geschehen oft nach den Regeln des Post-Rocks, zerstört die heimelige Hypnose aber gleich darauf wieder, mit den vertracktesten und gleichzeitig zuckersüßesten Songs seit Sonic Youth New York eroberten. Alle, Gitarristen, Sänger, Schlagzeuger, spielen mit den Dingen die man so von ihnen erwartet, mit Riffs und Melodien die die Geschichte ihrer musikalischen Sozialisation nacherzählen und dann noch ergänzen. Es zerbrechen die Erwartungen und die Songstrukturen, bauen sich wieder, eine einzige Sinuswelle: Herzstillstand. Und dann den Defibrillator auf Hardcore. Sie machen sich ihren Spaß aus Zitaten und Stereotypen, wie es nur auf dem höchsten Musik-Level der Fall ist. Wie Helge Schneider wenn er auf Mathrock, Noise und Post-Punk abfahren würde. Bei Dumbo Kiss scheinen sie sich mit der seltsam poppigen Note, trotz all der Dissonanzen, auseinander zu setzen: „I can dance to anything“ heißt es in dem Mann/Frau-Duett, das von Post-Indie und Artrock in Mathrock und schließlich in Noisecore übergeht und endet mit den Kabarett-haften Widerholungen der Zeilen: „I can dance to anything“, bis das Lied aufhört mit „No more!“. Platz für Selbstreferenz und Humor: ein bunter, künstlerischer Staatszirkus. CD2 dann zieht den Stecker aus diesem bunten Sammelsurium der Klänge und reduziert die Spastiken. Es ist ein einzelner Song aus dem die Plattenseite besteht, ein langer, düsterer, atmosphärischer, instrumenteller Jam von einem Track. Nicht so einzigartig wie der erste Teil geht es hier logischerweise zu, als der Downer zum vorangehenden Amphetamin verstanden kann One Our Hotel aber schon einiges – und ist noch nicht abschließend zu bewerten. Denn wie angedeutet gibt es bald einen dritten Teil, welcher eine Art Hörspiel sein soll, das man Parallel zum Instrumentaltrack hören soll. Der Think Tank rollt weiter. Wer nicht unter die Ketten kommt erobert damit die Welt.
-------------- The artist formerly known as Ulrich.