13. August 2005 Berlin, Maria am Ufer Ca. 400 Besucher Tickets: 10 Euro
Konzerte im Maria beginnen spät. Das kommt daher, dass es sich nicht wirklich um ein „Konzert“ handelt, sondern um ein DJ-Set. Das ist im Hinterkopf des Menschen mit Rockmusik-Sozialisation einfach permanent vorhanden: man sieht einen Musiker Live, dann ist es ein Konzert. Noch öfter werde ich an diesem Samstagabend denken: diese Menschen haben eine andere musikalische Vergangenheit als ich. Ein Glück bin ich in Berlin, denn bei den Besuchern denkt man es merkwürdigerweise gar nicht wirklich – in Bremen oder in Oldenburg oder auch Göttingen wären bei eixcccxcnem solchen Abend viele Gangster im Publikum; viele Unsymphathen mit weiten Hosen und bösem Blick. Im Maria ist es dagegen nicht anders als bei einem speziellen Indierock-Happening. Das Vorprogramm heute ist so langweilig wie nur vorstellbar. Dancehall-DJs spielen blöde Platten mit langweiligen Beats; dazu passende MCs dödeln mit Delay auf höchstem Anschlag ihre uninteressanten Weisheiten und das alles ist so ohrenbetäubend laut, dass man sich nicht einmal in Gespräche über die aktuellen Musikszene oder in die Betäubung weicher Drogen stürzen kann. Schade, aber natürlich versucht man es trotzdem. Vom Bier nebelt fragt man sich weniger, wer denn wohl gerade für die Musik verantwortlich zeichnet und mehr, warum der Typ vor den Klos in einem dunklen Tanzladen Sonnenmilch verkauft. Das gehört zu den Dingen, die über dem Verstand des Menschen liegen und die er / sie / es niemals herausfinden werden. Sei’s drum, schließlich geht es jetzt weiter mit dem musikalischen Programm. Das liest sich heute: The Bug. Der Mann hat mit seinem Album Pressure für einige Aufmerksamkeit gesorgt; da ist es nur verständlich, dass sein neues Album für einige Spannung und einen vollen Floor sorgt. In Zeiten schließlich, in denen die ganze europäische Musikwelt M.I.A. und Grime als das hot ding der näheren Zukunft feiert ist jemand wie The Bug willkommen. Willkommen und gern gesehen, weil er eine Mischung aus schrägen und noisigen Elektronika-Rahmen und stampfendem Dancehall mit wechselnden MC-Barden bietet. Letzteres gilt freilich nur für den Tonträger der Wahl und heute bleibt es bei einem Stimmakrobaten. Der macht seine Sache nur so geht so, aber die Tonnenschweren Effekte machen sein Mangel an Talent wieder wett. Die Musik ist wirklich nett und tanzbar und wenn man auf die sehr spezielle Richtung steht wird man The Bug lieben. Lieben, wie es eine M.I.A. macht, wie es ein Mike Skinner tat, wie es die Asian Dub Foundation bewies und wie es ein Richard D. James zeigte, als er den Käfer für sein Rephlex-Label signte. Die Ausflüge in andere Richtungen waren eher verstörend – so etwa, wenn kurz Grimeminister Wiley zu hören war – der Großteil war aber lustig, tanzbar allemal und man fragte sich wohl eher, wie viele Bugs eine Platte kosten würde als dass man sich sagte: Only a dead Bug is a godd Bug.. Der Rockkonzertbesucher in mir fragte sich aber, warum man auf einer Record Release Party des anwesenden Musikers keine Tonträger erstehen konnte. Nein, weniger der Rockkonzertbesucher in mir als vielmehr der fröhliche Konsument... Nach einer fast nicht existenten Pause stellt sich ein Berliner Lokalmatador an die Turntables und Mischpulte. Ein Lokalmatador, der nicht wie ein solcher und fremd wirkt, weil er schon so viel herumgekommen ist. Die Rede ist von niemand anderem als Alec Empire himself. Atari Teenage Riot-Frontmann und Verkörperung des gesamten Digital Hardcore. Heute Abend im Maria steht allerdings keine Schreihals-Performance an, sondern eines seiner ganz seltenen DJ-Sets. Warum aber ist Alec, wie ich ihn auf freundschaftlicher Musikjournalistenweise mal nennen möchte, heute Abend hier? Was verbindet ihn mit The Bug? Folgendes: vor einigen Jahren wurde ein Projekt gegründet, dass man gut und gerne und ohne groß über Genre-Zuweisungsmöglichkeiten nachdenken zu müssen als „Digital Hardcore“ bezeichnen kann. Der Gute Alec war nur auf dem ersten Album desThe Curse of Goldenen Vampire, so der Name des Projekts, mit dabei, das aber war es, dass ihn mit Leuten wie eben The Bug verbindet hat, die später ohne Empire am der Spitze weitergemacht haben und mittlerweile auch schon bei Ipecac Records veröffentlicht haben. Heute steht der gestyle Alec Empire vor seinen Turntables und verstört die Anwesende Menge, die zum Teil sicher wegen ihm gekommen sind, mit Nuclear War von Sun Ra (nicht die Version von Yo La Tengo); er fängt also langsam, fast zögerlich an, auch wenn es schon hier natürlich einen techoniden Beat-Hintergrund zu hören gibt. Irgendwann fängt dann mit der spontanität eines Herzinfarkts der Digital Hardcore an, den alle erwartet haben. Am Anfang heißt das: Metal auf einem unterkühlten Digital Hardcore-Teppich. Auf diesem Teppich möchte man sich nicht Barfuss räkeln, auf Angst sich mit im wirren Geäst verborgenen scharfen Splittern zu schneiden; wohl aber möchte man sich in Turnschuhen dazu schütteln, räkeln und Schattenboxen und Schattenkicken und macht es auch. Windmühlen wie sonst nur bei einem Hatebreed-Inferno sieht man hier – das hat nichts mit der aufgesetzten Friedlichkeit des zuvor herrschenden Dancehall zu tun, weshalb sich die Reihen auch schon stark gelichtet haben. Reaggae Ragga, Danchall. Die Aggression jetzt mag auch auf wortwörtlich Knopfdruck geschaffen und aufgesetzt sein, doch ist sie nicht halb so aufgesetzt wie die des Dancehalls – vielleicht, weil in Sammlungen großer Menschenmengen eine latente Reizbar- und Gewalttätigkeit verborgen liegt. Alec Empire jedenfalls hangelt sich mit jenem DH-Teppich bewaffnet von Sun Ra über Slayer zu Mr. Oizo und Atari Teenage Riot; zieht sich noch prollig sein Shirt aus um seinen von Muskeln gestählten Adonisbody zu präsentieren. Es ist ebenso prollig wie lustig, und das gilt auch für die Musik und für dich selbst wenn du die bloße Luft mit deinen Fäusten verprügelst. Wir verlassen das Maria vor dem Ende des Sets, denn wir sind müde und dehydriert. Als man aus dem dunklen Kubrikmäßig gestylten Club kommt ist es schon hell. Vor Blendung, Müdigkeit und Unglauben reiben wir uns die Augen, wie man es in dieser Situation der Zeitlosigkeit immer macht. Um uns herum fangen die Menschen in den Kiosken und U-Bahnen schon wieder an zu arbeiten, während die hedonistische Armee von ihrem Kampf komm um zu schlafen wenn andere malochen. Die elektronischen Ziffern der Uhren zeigen eine große „6“. Das ist Digital Hardcore.
-------------- The artist formerly known as Ulrich.